Die ästhetisch-architektonischen Angebote einer Stadt beeinflussen unser Fühlen und Denken.
Die bewussten ästhetischen Erfahrungen unserer Umwelt gehen dabei über Erlebnisse von Schönheit hinaus und schließen z.B. Emotionen wie Interesse und Staunen mit ein.
Eine ästhetische Einstellung – z.B. ausgelöst durch eine überraschende oder herausfordernde Architektur – ermöglicht neue kognitive Verarbeitungsmuster und kann damit neue Perspektiven eröffnen, Identitäten stiften und Stress reduzieren.

Ästhetische Kriterien sind zentral für die Bewertung eines Ortes. Die ästhetische Wahrnehmung von städtischen Kulturlandschaften bezieht sich dabei sowohl auf Architektur als auch auf natürliche Landschaften bzw. Landschaftsbestandteile innerhalb der Stadt. Menschen empfinden natürliche Landschaften im Allgemeinen als ein hohes Gut, das dem sozialen Miteinander, der Erholung und der Entspannung dient und damit auch einen gesundheitsförderlichen Wert hat (Kaplan, 1995). Die dafür zugrundeliegende ästhetische Landschaftspräferenz hängt nach der „Prospect-Refuge-Hypothese“ (Appleton, 1975) davon ab, ob die Umgebung sowohl Schutz und Rückzugsmöglichkeiten (refuge) als auch genügend Überblick (prospect) bietet. Nach dem Landschaftspräferenz-Modell von Kaplan und Kaplan (1982) hängt die ästhetische Wahrnehmung von insgesamt vier Faktoren ab. Dazu zählen eine ausreichende Komplexität der Landschaft, eine hohe Kohärenz (Zusammengehörigkeit der jeweiligen Bestandteile), eine leichte Lesbarkeit und ein gewisses Maß an Rätselhaftigkeit, welche die Neugier und das Explorationsbedürfnis wecken soll. Diese Modelle der ästhetischen Präferenz lassen sich auch auf den gebauten Stadtraum übertragen. Sowohl natürliche Stadtlandschaften als auch Architektur und Stadtraum lösen hierbei Stimmungen aus, ermöglichen sinnliche Erfahrungen und fordern eine emotionale Beurteilung der urbanen Umwelt heraus.

Mit Methoden der Neuroästhetik, der ästhetischen Psychologie und der entwurfsbasierten Forschung erfassen wir die architektonischen, räumlichen und sozialen Qualitäten der Stadt in Relation zu ästhetischen Beurteilungen. Ein Beispiel: In einer Studie konnten wir zeigen, dass eine Architektur öffentlicher Räume, die nicht monoton, sondern komplex ist, als schöner, als zur Erkundung und zur sozialen Interaktion einladend, wahrgenommen wird.

Generell stellt sich die Frage: Welche Verbindung besteht zwischen architektonisch-stadtplanerischen Mitteln und ästhetischen Wahrnehmungen von Schönheit, Komplexität, Diversität, Offenheit, Lebendigkeit, Außergewöhnlichkeit? Daran schließt sich die weitergehende Frage an: Müssen lebenswerte Städte schön sein? Wir setzen an dem Angebotscharakter der Stadt an — auf der Ebene der Navigation und Orientierung, der Bewegung und Nutzung und der sinnlichen Angebote: Wie konstituieren ein Straßenzug, ein Stadtviertel, ein interessantes Gebäude, die Interaktion unseres Körpers mit seiner Umgebung? Wann lösen stadtplanerische und architektonische Entscheidungen entweder positive oder negative Beurteilungen aus? Wie variieren diese Beurteilungen zwischen Bevölkerungsgruppen?

Ästhetik kann darüber hinaus aber noch mehr bedeuten — einen Wechsel von einer pragmatischen Verarbeitungsweise (auf dem Weg zur Arbeit) zu einer ästhetischen (wenn wir innehalten und betrachten, beurteilen und emotional verarbeiten). Dies kann z. B. durch Frei- und Grünflächen aber auch durch herausfordernde Architektur oder Kunst am Bau hervorgerufen werden. Somit ermöglicht eine ästhetische Erfahrung andere kognitive Verarbeitungsmuster und eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten. Unter anderem aus diesem Grund ist die „Ästhetik der Stadt“ eine zentrale Dimension der Neurourbanistik.

Wird Architektur als schön wahrgenommen, lädt sie auch zur Erkundung und zur sozialen Interaktion ein.