Laufen und Fahrradfahren fördern das individuelle Selbstverständnis als aktiver Teil der Stadt, erleichtern die Aneignung der urbanen Umgebung und erhöhen das Gefühl von Kontrolle über die Umwelt (environmental mastery).
Für eine Stadtplanung und Stadtpolitik der sozial und funktional durchmischten Quartiere: Je schneller und unkomplizierter die täglichen Wege, desto resilienter macht die Stadt ihre Bewohner*innen. Je länger und komplizierter die Wege (insbesondere beim Berufspendeln), desto stressreicher der Alltag. Wohltuende soziale Aktivitäten nehmen ab.
Gerade bei Risikopopulationen für soziale Isolation mit kleinem bzw. – bei zunehmendem Alter – kleiner werdendem Aktionsradius, muss die städtische Infrastruktur Hilfestellungen anbieten. Ein gutes urbanes Mobilitätskonzept reicht bis in den eigenen Hausflur.

Mobilität im städtischen Kontext erfüllt zunächst die Funktion, die ansonsten statischen städtischen Infrastrukturen miteinander räumlich in Beziehung zu setzen und sinnhaft miteinander zu verknüpfen. Mobilität dynamisiert die Stadt. Allerdings haben die Mobilitätsträger – allen voran das Auto – die Stadt so beschleunigt, dass eine Diskrepanz zwischen Raumüberwindung und Mobilitätsempfinden bei den Stadtbewohner*innen vorherrscht. Damit ist auch die Stadt als erfahrbarer Raum für die Insassen der Mobilitätsträger schwer zu lesen. Dem wirkt jedes Angebot zur aktiven Mobilität (Gehen, Fahrradfahren usw.), das eine Stadt seinen Bewohner*innen und Besucher*innen macht, entgegen. Denn hier sind die Städter*innen in der Lage, sinnhafte soziale Verknüpfungen in der Stadt an ein Raumempfinden zu koppeln, was ihr Wohlbefinden sowohl in Form von Selbstbestimmtheit als auch sein Selbstverständnis als Teil des städtischen Lebens fördert. Zusätzlich führen lange und umständliche Wege – insbesondere zum Arbeitsplatz – zu einem Rückgang sozialer Aktivitäten. So reduziert sich beispielsweise pro zehn Minuten an zusätzlichem Arbeitsweg das gesellschaftliche Engagement in Gruppen, Vereinen oder Ehrenämtern um zehn Prozent1. Arbeitnehmer*innen mit langen Wegen weisen beispielsweise häufiger Fehltage auf2.

Gerade bei Risikopopulationen für soziale Isolation mit kleinem bzw. – bei zunehmendem Alter – kleiner werdendem Aktionsradius muss die städtische Infrastruktur Hilfestellungen anbieten. Ein gutes urbanes Mobilitätskonzept reicht bis in den eigenen Hausflur. Je größer die Stadt, desto komplexer die Bewegungsmuster und -strukturen, die seine Bewohner*innen bewältigen müssen. In einem dicht gewebten funktionalen und sozialen Kontext sind die Stadtbewohner*innen in der Lage, auch auf Unvorhersehbarkeiten souverän(er) zu reagieren, da sie im unmittelbaren Umfeld kleinteilige persönliche Sozialstrukturen vorfinden, die sie stützen. Gleichzeitig bietet ein dichtes urbanes Umfeld die Möglichkeit, sich nur partiell zu „zeigen“, d. h. die eigene Persönlichkeit ein Stück weit in der Anonymität des Großstadtrauschens zu verbergen.

Durch aktive Mobilität können Städter*innen sinnhafte soziale Verknüpfungen in der Stadt an ein Raumempfinden koppeln, was Wohlbefinden in Form von Selbstbestimmtheit und Selbstverständnis als Teil des städtischen Lebens fördert.

Je weiter die täglich zu absolvierenden Distanzen (typischerweise aus peripheren urbanen Lagen in zentral gelegene) und je monofunktionaler die Destinationen (typischerweise „Schlafstadt“ und „Büroblock“), desto stressreicher der Alltag. Denn neben der Stress verursachenden Distanzüberwindung an sich (Stau, Gedränge in der Bahn/Bus etc.) kommt noch ein fehlendes Unterstützungsnetzwerk vor Ort hinzu, so dass sich – anders als beim kleinräumlich agierenden Stadtbewohner oben – keine Entlastung durch das Umfeld, sondern eine zusätzliche Belastung einstellt.

Mit zunehmender Segregierung und Homogenisierung der Stadtbewohnerschaft ist dies verschärft sozial relevant, denn von der positiven Wirkung des Urbanen profitieren immer weniger, immer sozial besser gestellte Stadtbewohner*innen, während diejenigen, die auf die positive Wirkung ihres Umfeldes deutlich stärker angewiesenen, sozial schwächeren Schichten aus diesen dichten zentralen Räumen in die Peripherie verdrängt werden. Ein integratives urbanes Mobilitätskonzept wirkt diesen Tendenzen entgegen, indem es durch Eingriffe in den Stadtkörper eher defragmentierend wirkt und nach Möglichkeiten sucht, die sich voneinander abgrenzenden Stadträume wieder miteinander zu verbinden bzw. die (noch) vorhandenen räumlichen Beziehungen zu stärken. So kann auch dort, wo die Distanzen bei stadträumlicher Expansion wachsen durch einen zeitgemäßen Mobilitätsmix, in dem ÖPNV, Sammeltaxis, Car- und Bike-Share-Angebote integrativ miteinander verknüpft werden, der Distanzwiderstand reduziert und die Stadt für ihre Bewohner*innen gefühlt näher aneinandergefügt werden.

Je weiter die täglich zu absolvierenden Distanzen und je monofunktionaler die Destinationen, desto stressreicher der Alltag.

Quellen:
1 Putnam RD. Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community. New York: Simon & Schuster; 2000
2 Wissenschaftlichen Institut der AOK (WidO), Fehlzeiten Report 2012